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Der wunde Punkt

„Erkenne dich selbst, bevor du Kinder zu erkennen trachtest. … Unter ihnen allen bist du selbst ein Kind, das du zunächst einmal erkennen, erziehen und ausbilden musst.“ (Janusz Korczak, Wie man ein Kind lieben soll, 2008, 156.)

„Wir freuen uns immer auf viel gemeinsame Zeit mit unserer Familie am Wochenende! Doch wenn wir dann mit unseren Kindern zusammen sind, steuern wir schnell auf Wut, Wut, Wut, Schreien, Türenknallen, Wahnsinn, Weinen zu. Und das Schlimme ist, dass wir als Eltern schon bald dabei sein werden, ungeduldig und genervt und pädagogisch völlig daneben reagieren werden. In den seltensten Fällen können wir die begonnene Dynamik stoppen. Am schlimmsten ist es, wenn die Kinder sich untereinander noch ankeifen, angiften und streiten. Dann reißt bei einem von uns der Geduldsfaden und die gewünschte Harmonie und schöne, gemeinsame Zeit ist im Eimer.“ schilderte mir eine Erzieherin ihre private Situation.

Ich kenne es aus meiner eigenen Geschichte mit meinen Kindern und aus ganz vielen Schilderungen von Eltern und Pädagog*innen, Psycholog*innen, Therapeut*innen und Kolleg*innen.

„Was, auch Experten für Kinder kennen das auch? Die haben es doch gelernt, mit Kindern umzugehen! Gerade die müssten es doch wissen!“ Vielleicht denkst Du so oder so ähnlich.

Ich sage Dir was, auch Fachleute sind Menschen. Denn auch sie haben wunde Punkte, durch die der Handlungstrichter immer enger wird und unser Verhalten sich scheinbar automatisch abspult. Denn unsere Kinder können unsere wunden Punkte nur drücken, wenn wir selbst sie nicht kennen, beachten und sie genauer anschauen.

Wenn wir jedoch unsere wunden Punkte erkennen, an ihnen arbeiten und sie heilen (lassen), dann erkennen wir das WUNDER, das das Getroffensein im wunden Punkt mit sich bringt. Genau in diesen unangenehmen und schwierigen Zeiten und Situationen, in denen es eskaliert, liegt die Chance, um Verständnis, Frieden und pädagogisches Handeln zu erreichen!

Kennst Du Deine wunden Punkte?

Du hast mit Deinen Kindern keine schweren Situationen (mehr). Na dann behaupte ich einfach: Unabhängig von Kindern kann jeder Mensch derjenige sein, der Deinen wunden Punkt drückt. Denn jeder hat welche. Einen wunden Punkt bestimmt. Eine Stelle, an der er ganz besonders sensibel ist, und die besser auch nicht berührt werden sollte. Dieser wunde Punkt kann auch von Deinem Mann oder Deiner Frau, einem Mann, einer Frau, Deiner Mutter, Deinem Vater, Deiner Schwiegermutter, einer Nachbarin, einer Arbeitskollegin etc. gedrückt werden. Heute sagt man: Sie, er, es hat mich getriggert. Es sind die alten Verletzungen, die im Kontakt mit jemandem entstanden sind. Diese Verletzungen sind seelische Wunden, die noch nicht verheilt sind und wie Wunden eitern, sich entzünden, schmerzen und einen auf Trab halten können.

Man sagt, die Zeit heilt alle Wunden, aber wie viel Zeit sie benötigen, bis sie vollständig verheilt sind, das hat man uns nie gesagt. Je mehr Mühe man sich gibt, zu verdrängen, zu ignorieren, sich ablenkt und nicht daran kratzt, kann diese Wunde still vor sich hin als Narbe, die noch nicht verheilt ist, nach vielen, langen Jahren immer wieder einmal aufbrechen.

Manchmal weiß man gar nicht (mehr) so genau, warum da eine Wunde ist. Schließlich ist es viel zu lange her, weil wir uns an unsere frühe Kindheit ja nicht wirklich erinnern können, oder es ist scheinbar nie etwas „Schlimmes“ also richtig Schlimmes passiert. Und doch ist ein kleiner Riss im Herzen, durch eine Kränkung, eine Demütigung, eine ungerechtfertigte Strafe, einen bösen strafenden Blick, ein sich unverstanden fühlen, nicht wichtig genommen zu werden, eine Herabwürdigung, ein ausgelacht werden, entstanden, obwohl man es selber nicht wahrhaben wollte und nicht zugeben konnte.

Aber es ist nun mal so, dass da doch was ist, und es ist genau das, was man einen wunden Punkt nennt, so winzig, dass man es kaum sieht, aber drückt man mit dem Finger drauf, und sei es noch so sanft und sachte, dann schmerzt es eben doch, auch ohne dass man kratzt und grübelt und so Narben provoziert, die einen für immer daran erinnern, dass da mal was war, das längst verheilt ist.

Die Wunden der frühen Kindheit schmerzen oft ein ganzes Leben lang, weil wir mit Gesprächen, Worten, Erinnerungen sie nicht erfassen können. Da ist unser Körper sehr hilfreich, in ihm sind alle Erlebnisse gespeichert. Deshalb ist Bewegung, ob wandern, laufen, klettern, rudern, tanzen, fechten oder rückwärts gehen für den Abbau von (innerem) Stress unendlich wichtig. Wer tiefer gehen möchte, kann köpertherapeutisch dran gehen. Wir können etwas machen, wenn wir uns trauen. Ich möchte Dich dazu ermutigen, damit niemand Deinen wunden Punkt drücken kann.

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