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Erich Fried: Bevor ich sterbe

Erich Fried

Bevor ich sterbe

Noch einmal sprechen
von der Wärme des Lebens
damit doch einige wissen:
Es ist nicht warm
aber es könnte warm sein.

Bevor ich sterbe
noch einmal sprechen
von Liebe
damit doch einige sagen:
Das gab es
das muss es geben.

Noch einmal sprechen
vom Glück der Hoffnung auf Glück
damit doch einige fragen:
Was war das
wann kommt es wieder?

(in: Erich Fried, Vorübungen für Wunder. Gedichte vom Zorn und von der Liebe, Berlin 1999, 28.)

Mit großer Zartheit spricht Erich Fried mit wenigen Worten vom Wesentlichen. Leben, Liebe, Glück sind genau das. Und wir sollten davon sprechen. „Noch einmal sprechen“ von Leben, Liebe, Glück, „damit doch einige“ wissen, sagen oder fragen. Das Sprechen, das ins Wortbringen, führt zu einem Handeln – wenn wissen, sagen, fragen je Handeln ist – bei einigen. Fried hat nicht den Anspruch alle zu etwas zu führen. In seiner großen Zartheit hält er sich ganz zurück und ist zufrieden, wenn „doch einige“ wissen, sagen oder fragen. Wer lässt sich anrühren vom gesprochenen? Einige!

Dem Leben gibt Fried eine wunderbare Eigenschaft: „Wärme“. Es ist die Wärme des Lebens, die das Leben spürbar machen könnte und gut. Auch wenn ich diese Wärme nicht oder nicht immer verspürt habe, so könnte ich doch wissen, dass das Leben nicht warm ist, aber warm sein könnte. Dieses Wissen könnte bei einigen ausgelöst werden, wenn ich von der Wärme des Lebens spreche.

Der Liebe ist nichts hinzuzufügen. Aus vielen seiner Gedichte weiß ich, dass Liebe immer wieder ins Wort gebracht wird. Alles andere ist ohne Liebe nichts. „Das gab es,“ behauptet Fried, um diese sichere Behauptung im gleichen Satz zurückzunehmen und zu sagen: „Das muss es geben.“ Es ist wie ein Bekenntnis, das einige sagen, wenn ich „noch einmal spreche(n) von Liebe“. „Das gab es, das muss es geben.

Wie flüchtig ist das Glück? Allein die Hoffnung auf Glück ist bereits Glück. Vielleicht ist das der Sinn des Lebens, glücklich zu werden wissend, dass ich es nicht halten, nicht fassen kann. Vielleicht initiiert mein Sprechen vom Glück diesen Blitz der Erinnerung an etwas sehr zartes, vergängliches aber zutiefst wertvolles. Es bleibt die Frage: „Was war das, wann kommt es wieder?“

Und all das geschieht „bevor ich sterbe.“ Spricht Fried von seinen oder meinen letzten Tagen? Die Retrospektive auf das, was mein Menschsein ausmacht. Aus der Erfahrung eines vollendeten Lebens „noch einmal sprechen von Leben, von Liebe, vom Glück.“ Und mit aller Zurückhaltung zu hoffen, dass „einige“ wissen, sagen oder fragen, als Antwort auf mich, reif an Jahren und Erlebtem.

Vielleicht meint er mehr: „Bevor ist sterbe,“ ist immer, vom ersten Tag meines in der Welt sein. Von Anfang an von der Wärme des Lebens zu sprechen, von der Liebe, vom Glück der Hoffnung auf Glück, macht mich aus. Wie Fried‘s Worte zart sind, so entsteht eine bejahende Zartheit zu mir und dem Leben überhaupt. Im Angesicht des Sterbens bekommt alles eine besondere Würde. Unverbrüchlich hält Fried an der Sehnsucht nach der Wärme des Lebens fest. Selbst wenn das Leben nicht warm ist, so könnte es doch warm sein. Und bevor ich sterbe will ich festhalten daran, dass es Liebe gibt, vielleicht weil es sie geben muss. Und da war Glück. Was war es, wann kommt es wieder? So entsteht eine zarte Haltung meinem Leben gegenüber von Anfang an. Vielleicht bin ich „einige“, die wissen, sagen, fragen. Vielleicht sind dies Anteile von mir. Das spricht auch für die Zartheit und Barmherzigkeit mir gegen über, dass ich zulassen, dass ich es nicht immer erfasse, aber doch einige Male.

Bewusstsein über diese Zartheit wächst im Sprechen. „Noch einmal sprechen,“ noch einmal ins Wort bringen, öffnet mir meine Tür zur Zartheit. Bevor ich sterbe noch einmal sprechen von Zartheit, damit doch einige fühlen: Das war schon mal, das wird bleiben. Wenn ich spreche, spreche ich auch zu mir. In mir wächst der Same, der mit dem Wort gelegt ist. Und im anderen wächst der Same, der mit dem Wort gelegt ist. Vielleicht ist die Zartheit der Boden, in den der Same gelegt wird.

Nicht nur „bevor ich sterbe“, sondern im Tod und über den Tod hinaus könnte das einige tragen. Vielleicht auch mich. Vielleicht auch nur einige Male.

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